Leïla Slimani, „Das Land der Anderen“

Sie dachte, dass es grenzenloser Liebe bedurfte, mehr Liebe, als sie zu empfinden imstande wäre, um die Verachtung der Leute zu erdulden. Es bedurfte einer beständigen, gewaltigen, unerschütterlichen Liebe, um die Scham zu ertragen,

wenn die Franzosen ihn duzten, wenn die Polizisten seine Papiere verlangten, wenn sie sich entschuldigten, sobald sie seine Verdienste im Krieg oder sein perfektes Französisch bemerkten. »Bei Ihnen, lieber Freund, ist es etwas ganz anderes.« Und Amine lächelte. In der Öffentlichkeit gab er vor, kein Problem mit Frankreich zu haben, da er beinahe dafür gestorben wäre. Doch sobald sie alleine waren, verbarrikadierte er sich hinter seinem Schweigen und litt unter der Schmach, dass er feige gewesen war und sein Volk verraten hatte. Er betrat das Haus, riss die Schränke auf und schleuderte alles zu Boden, was ihm in die Finger kam. Mathilde war ebenfalls jähzornig, und eines Tages, mitten in einem Streit, als er schrie: »Sei still! Ich schäme mich für dich!«, öffnete sie den Eisschrank und packte eine Schale reifer Pfirsiche, aus denen sie Marmelade kochen wollte. Sie warf Amine die matschigen Früchte ins Gesicht, ohne zu bemerken, dass Aïcha sie beobachtete und fassungslos mit ansah, wie ihrem Vater der Saft über Haar und Hals lief.
(Leïla Slimani, „Das Land der Anderen“)

»Ein aufklärerisches Werk, kraftvoll erzählt. Ein wichtiger Roman.« (Dirk Fuhrig/WDR3)

»Es ist die Familiengeschichte Leïla Slimanis und zugleich die brillante Weiterführung ihres literarischen Themas: Frauen, die versuchen, ihre Freiheitssehnsucht durchzusetzen und unabhängig zu leben.« (Mara Delius/Welt am Sonntag)

Jedes Buch dieser klugen, mutigen Autorin fordert mich als Übersetzerin heraus, weil sie nicht gefällig, sondern meist knapp und schnörkellos schreibt. Zum Stil, den sie für diesen Roman wählt, sagt sie, sie wolle beim Lesen fühlbar machen, wie rau das Leben im Marokko der 40er und 50er Jahre war.

Hier geht es zu „Das Land der Anderen“ auf der Seite des Luchterhand Verlags.