Matteo B. Bianchi, „Von dem, der bleibt“

Für unseren ersten gemeinsamen Kinobesuch wählen wir ein neutrales Terrain (Science-Fiction). Keine Liebesgeschichten, keine Dramen, nichts allzu Romantisches, nichts allzu Realistisches.

Weltraum, Aliens, Rätsel, Abenteuer: auf dem Papier eine sichere Entscheidung. Doch dann (Heimtücke des Schicksals), etwa nach der Hälfte des Films, hat ein Mitglied der Raumschiffbesatzung eine Krise, fühlt sich schlecht, durcheinander. Die anderen fragen sich, wo er ist, sie finden ihn in seiner Kabine. Der Bildausschnitt zeigt nur die herabhängenden Füße.
Ich spüre, wie Alberto neben mir erstarrt.
Er sagt: „Gehen wir.“
Ich rühre mich nicht, meine Hände umklammern die Armlehnen, als könnte mein Sitz selbst jeden Moment ins Weltall katapultiert werden.
Die Schockwirkung der Szene auf mich ist einerseits heftig, andererseits gleich null.
„Lass uns rausgehen“, beharrt Alberto.
„Nein, es ist schon vorbei“, sage ich. Und das stimmt, der Film ist bereits ganz woanders (Außerirdische, gegen die man kämpfen muss, kosmische Notfälle).
„Bist du sicher?“
Das bin ich. Die Leinwand hat mich nur an das erinnert, woran ich ohnehin die ganze Zeit denke. Nichts, was einen aus der Bahn werfen müsste.
Alberto ist erschütterter als ich. Der Arme. Er wollte mich ablenken, wollte mir ein paar Stunden Auszeit schenken.
„Es ist wirklich in Ordnung“, versichere ich ihm.
Nicht mal der Weltraum ist weit genug entfernt. Selbst in den Tiefen des Universums hallt meine persönliche Tragödie wider.
Die Leinwand scheint mich zu fragen: Wohin wolltest Du fliehen, Dummkopf?
(Matteo B. Bianchi, „Von dem, der bleibt“)

„Matteo B. Bianchi findet eine Sprache für das Unaussprechliche, eine Form für das Unbegreifliche.“ (Welf Grombacher, Galore)

„Eine universelle Geschichte für alle Menschen, die tiefen Schmerz erfahren haben. Sie werden sich mit diesem Buch weniger allein fühlen.“ (Corriere della sera)

In dem Bestreben, anderen, die dasselbe erleben müssen, wie er, zu helfen, gelingt es Matteo B. Bianchi, mit bedingungsloser Aufrichtigkeit von seinen intimsten Gefühlen zu erzählen, ohne dabei je exibitionistisch oder larmoyant zu wirken. Auf diesem Drahtseil durfte auch ich als Übersetzerin balancieren. Ein wunderschöner, berührender Text, schwer und heiter zugleich, und in jedem Fall horitzonterweiternd.

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