Eve Ensler, „Die Entschuldigung“

Dann wurdest du fünf. Und etwas änderte sich. Dein Gesicht wurde meinem ähnlicher, deine braunen Augen lebendiger und anziehender, dein kindlicher Körper plötzlich weiblich, deine Intelligenz zeigte sich in einem frechen Humor. Du spieltest mit mir.

Du hast mich geneckt. Irgendwie schienst du mich auf eine Weise zu kennen, wie niemand mich je gekannt hatte, schienst meine Art zu mögen, echten Trost in meiner Umarmung zu finden, mich zu suchen. Anders als meine Mutter, hattest du keine Vorstellung davon, wer ich zu sein hatte. Du liebtest mich so, wie ich war. Und ich war das Objekt deiner reinen, ungetrübten Bewunderung, der Dreh- und Angelpunkt deines Daseins. Was für ein mächtiges Rauschmittel. Woher sollte ich wissen, dass jede Tochter so für ihren Vater empfindet? Woher sollte ich wissen, dass diese Bewunderung ein notwendiger Schritt in der Entwicklung des Kindes ist und nicht missbraucht werden darf?
(Eve Ensler, „Die Entschuldigung“)

Es ist schwer zu beschreiben, was dieser Text mit einem macht – zumal, wenn man sich so intensiv damit befasst, wie es für eine Übersetzung nötig ist. Er ist eine Zumutung, er ist eine Bereicherung, er ist pathetisch, berührend, aufwühlend, stellenweise kaum auszuhalten. Das Verblüffendste geschieht jedoch am Schluss, wenn die Worte wie eine magische Zauberformel ihre Wirkung entfaltet und man merkt tatsächlich: er ist eine Erlösung.

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